Wir kennen das Prinzip aus dem im Alltag: Klopfen wir an ein leeres Glas, klingt es tief. Ist es voll, entstehen höhere Töne. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die Erforschung von Sternen anwenden. Allerdings können wir die Schwingungen der Sterne nicht hören, sondern sehen. „Wenn wir die Variationen ihrer Helligkeit vermessen, können wir mehr über das Innenleben der Sterne herausfinden – also über ihre Struktur, Entwicklung und ihr Alter. Und das wiederum erlaubt Rückschlüsse auf die ‚Biografie‘ unserer Sonne und die der Milchstraße“, erklärt Lukas Steinwender, Diplomand am Institut für Physik der Uni Graz. Er erhielt vor Kurzem eines der begehrten Marschall Plan-Stipendien. Dank dieser prestigeträchtigen Finanzierung geht der junge Astrophysiker Anfang 2023 für einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt an die Villanova University in Pennsylvania, USA. Vergangene Woche wurden die Stipendien in Wien verliehen.
Im Zeichen der Leier
Lukas Steinwender untersucht Sterne, deren Helligkeit zyklisch schwankt – die so genannten RR Lyrae-Sterne. Der erste dieser Sterne wurde im 19. Jahrhundert im Sternbild der Leier (Lyra) gefunden. Seitdem wurden zahlreiche Vertreter dieser Klasse in unserer sowie in fernen Galaxien entdeckt und anhand kleiner Unterschiede in ihren Helligkeitsschwankungen in mehrere Untergruppen unterteilt. „Vor noch gar nicht allzu langer Zeit war es noch sehr aufwendig, ausreichend und gute Daten von oszillierenden Sternen zu gewinnen. Durch die modernen Teleskope am Boden und im All stehen wir jetzt vor dem Problem, dass wir mit der Auswertung der Daten fast nicht mehr nachkommen“, erzählt Paul Beck, Forscher im Fachbereich Geophysik, Astrophysik und Meteorologie (IGAM) und Betreuer der Diplomarbeit von Lukas Steinwender.
Big Data in the Sky
Hier kommt das Stichwort „Big Data“ ins Spiel: Die Auswertung riesiger Datenmengen, die moderne Großteleskope liefern, soll verstärkt mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) passieren. Lukas Steinwender beschreibt das Prinzip von Machine Learning: „Wir füttern die Computer mit jeder Menge Daten. Daraus lernt die Maschine im Lauf der Zeit ganz selbständig. Zum Beispiel wiederkehrende Schemata zu erkennen oder eigenständig Lösungen für neue Probleme zu entwerfen.“ Lukas Steinwender und Paul Beck vergleichen die Sortierung der astrophysikalischen Daten mittels Machine Learning mit dem Erkennen eines Leitmotivs während einer Orchester-Performance: „Wenn wir einem Ensemble zuhören, können wir immer noch einzelne Instrumente herausfiltern, die die grundlegende Melodie spielen. In unserem Vergleich sind Sterne die verschiedenen Instrumente und ihre Helligkeitsveränderungen wären die Töne, mit denen sie das musikalische Leitmotiv vorgeben. Die KI kann Muster in dem Wirrwarr erkennen und damit vorhersagen, wer am Orchester beteiligt ist und wie viele Spieler es überhaupt sind.“
Lukas Steinwender wird die Software, die den Himmel nach Mustern durchsucht, in den USA mitentwickeln. Die Klassifizierung der Untergruppen der RR Lyrae-Sterne ist ein erster Schritt, das Projekt geht aber langfristig noch darüber hinaus. Auch Sterne, die vorher noch nicht als Teil bestimmter Arten bekannt waren, können so in einen Kontext gesetzt werden. „Damit läuten wir ein neues Zeitalter astrophysikalischer Analysen ein“, freuen sich Paul Beck und sein Diplomand Lukas Steinwender.
Neuartiges Teleskop
In den USA wird der junge Forscher zunächst mit simulierten Daten arbeiten, die das Vera C. Rubin Teleskop liefern soll. Das ist ein völlig neuartiges Teleskop zur Durchmusterung des Himmels, das derzeit in Chile gebaut wird und Beobachtungen vieler Sterne zu unterschiedlichen Zeitpunkten liefern wird. In Betrieb gehen soll das nach der amerikanischen Astronomin Vera C. Rubin (1928-2016) benannte Teleskop frühestens 2024. Ob die bereits jetzt verfügbaren, simulierbaren Daten mit den tatsächlich generierten übereinstimmen werden, ist eine weitere spannende Frage, der sich Lukas Steinwender widmen wird.
Mehr zum Stipendium
Die Marshall Plan Foundation ermöglicht es österreichischen Studierenden, in den USA zu forschen. Die Stipendien variieren in der Höhe zwischen 3.000 und 10.000 Euro für Forschungsaufenthalte ab drei Monaten an einer Hochschulinstitution. >> Weitere Infos