Ob im Bus oder Zug, im Wartezimmer oder gemütlich auf der Couch: Der Griff zum Smartphone ist für Jugendliche alltäglich. Auf TikTok, Instagram oder YouTube stoßen sie dabei immer wieder auf Videos, die den Eindruck von Wissenschaft vermitteln. Doch entsprechen die verbreiteten Informationen auch den Fakten? Können komplexe Themen tatsächlich in 60 Sekunden erklärt werden? Hier stoßen junge Menschen an ihre Grenzen. „Gerade im Chemieunterricht fällt auf, wie viele fragwürdige Inhalte Jugendliche im Netz sehen“, sagt der Didaktiker Philipp Spitzer. Die Themenpalette reicht von Mythen wie „Chemie ist böse, Natur ist gut“ bis hin zu kruden Verschwörungstheorien über Chemtrails.
In seiner aktuellen Studie hat Spitzer Schüler:innen nach wissenschaftlichen Veröffentlichungen in ihren Social-Media-Feeds gefragt. „Die Zahl der Nennungen war hoch, jedoch enthielten viele davon Informationen, die reiner Unsinn waren“, berichtet der Forscher. „Junge Menschen haben offenbar bisher nicht gelernt, wie man diese Videos richtig bewertet.“ Oft reicht schon ein Laborkittel, und ein Post wird als seriös eingestuft. Diesen Trick wendet Spitzer testweise auf seinen Accounts an: „Im weißen Mantel bekomme ich mehr Reichweite.“
Schutzimpfung
Wie sollen die Jugendlichen erkennen, ob die scheinbar seriöse Person tatsächlich Fundiertes verbreitet oder nur eine Show abzieht? Die nötige Kompetenz, um Fakten und Fake zu unterscheiden, müsse im Unterricht vermittelt werden, ist Spitzer überzeugt. „Je mehr die Schüler:innen über Chemie wissen, desto besser können sie beurteilen, ob ein Video wissenschaftlich korrekt ist.“ Allerdings könne niemand Super-Expert:in in allen Bereichen sein. Physik-Didaktikerin Claudia Haagen-Schützenhöfer führt daher eine weitere Strategie ins Treffen: Die sogenannte Inokulation, also eine „Schutzimpfung“ gegen Desinformation.
Dabei werden spezifische Falschmeldungen beziehungsweise gängige Argumentationsstrategien aufgezeigt und widerlegt. Das sind unter anderem logische Fehlschlüsse – etwa „Das Klima hat sich immer schon verändert“ –, unrealistische Erwartungen – „Die Covid-Impfung kann Ansteckungen nicht zu hundert Prozent verhindern“ – oder Verschwörungstheorien: „Den Forscher:innen geht es nur ums Geld“. Tatsächlich könnten sie wohl in der Wirtschaft wesentlich mehr verdienen.
Für die Immunisierung gegen Fake News werden die Konsument:innen zunächst vorgewarnt, dass sie auf solche stoßen könnten. „Anschließend werden Beispiele von Fehlinformationen präsentiert und systematisch entkräftet“, führt Haagen-Schützenhöfer aus. Debunking nennt man diese Methode im Fachjargon. Die Forscherin hat zusammen mit dem Innsbrucker Kollegen Thomas Schubatzky untersucht, wie gut das bei österreichischen Jugendlichen wirkt. Die beiden konfrontierten 1600 Studienteilnehmer:innen mit Verschwörungsmythen aus der Oregon Petition – einer Desinformationskampagne, die sich gegen das Kyoto-Protokoll richtet. Darin wird behauptet, es gebe keine Beweise dafür, dass der Klimawandel durch den Menschen verursacht wird. „Wir konnten klar erkennen, dass junge Menschen empfänglich sind für solche Falschmeldungen. Wir sehen aber auch, dass Inokulation in diesem Setting gut funktioniert“, berichtet Haagen-Schützenhöfer.
Sie trainiert nun ihre Lehramtsstudierenden darin, Fake News zu durchschauen und systematisch zu widerlegen. „Damit fördern wir ihre Kritikfähigkeit und geben ihnen ein Tool in die Hand, das sie später im Beruf nutzen können“, schildert die Physikerin. „Die Jugendlichen lernen, Desinformation zu entlarven, indem sie sich mit den Techniken dahinter beschäftigen und typische Muster sowie Fehler in der Argumentation erkennen.“ Das funktioniere bei allen Themen und stärke langfristig die Medienkompetenz.
Kritisches Hinterfragen
„Dass junge Menschen auf TikTok oder Instagram auf wissenschaftlich anmutende Informationen stoßen, ist meist Zufall. Sie suchen auf diesen Freizeit-Plattformen nicht danach“, weiß Philipp Spitzer. Umso hilfreicher ist es, Falsches zu erkennen. Auch auf YouTube, wo Schüler:innen gezielt Unterrichtsthemen recherchieren, kursieren Millionen an Videos mit Fake-Inhalten. Umso mehr plädiert der Didaktiker dafür, die Forschungsinhalte nicht den Influencer:innen zu überlassen. „Lehrer:innen müssen nicht selbst auf TikTok und Co unterwegs sein. Aber sie sollten schon auch wissen, was über die populären sozialen Medien verbreitet wird, um im Unterricht darauf eingehen zu können.“ So können sie direkt reagieren, wenn Fake News die Runde machen.
„Unsere Studien zeigen klar, dass wir Jugendliche und Lehrende gleichermaßen dazu befähigen können, Falschinformationen nicht nur zu erkennen, sondern auch aktiv zu hinterfragen. Damit legen wir den Grundstein für eine kritische Gesellschaft, die sich sicher in einer digitalen Welt bewegt“, resümiert Haagen-Schützenhöfer.
Friday, 17 January 2025